Brief an Oberbürgermeisterin Eva Weber wegen „Ritualen“ beim Augsburger Hohen Friedensfest 2020

AUGSBURG – Alljährlich am 8. August feiert die ehemals Freie Reichsstadt Augsburg ihr Hohes Friedensfest. Und das seit 370 Jahren. Das Friedensfest entstand 1650 als Dankfest für das Ende des 30-jährigen Krieges. Damals wurden die Kirchenschlüssel an die Lutheraner zurückgegeben, die nun nicht mehr unter freiem Himmel Gottesdienst feiern mussten. Zwar war damit noch keine volle Religionsfreiheit verwirklicht: Reformierte, Schwenkfeldianer, Täufer und Juden hatten noch keinen paritätischen Status. Doch ein Anfang war gemacht. Nach dem 2. Weltkrieg beschloss der Bayerische Landtag das Augsburger Friedensfest zum gesetzlichen Feiertag im Augsburger Stadtgebiet zu machen.

Allerdings wird der weltweit einmalige Feiertag für den Frieden 2020 unter Coronabedingungen begangen. Die große Friedenstafel auf dem Rathausplatz, normal kommen mehr als 1000 Leute und teilen Essen und trinken, ist abgesagt. Andere Veranstaltungen laufen in kleinem Rahmen. Zum ökumenischen Gottesdienst in der Basilika St. Ulrich und St Afra werden nur ein Bruchteil der möglichen Gäste eingelassen.

Auch inhaltlich hat sich das Friedensfest nach Ansicht mancher Beobachter und Beteiligten weit von seinem Ursprung entfernt. So wurde das begleitende Kulturprogramm am 30. Juni durch ein Ritual der Candomblé-Religion eröffnet. Die Tänzer eines Berliner Candomblé-Tempels veranschaulichten damit Konflikt und Versöhnung zwischen Untergöttern des „Gottes der Krankheit und der Heilung“ in. Auch sonst ist das diesjährige Programm einigermaßen esoterisch okkult geprägt. So werden Orakel- oder Tarotkarten empfohlen als  „Antworten auf innerste Fragen“. Die historisch nicht belegte Verehrung der angeblichen Augsburger Göttin Cisa soll in einer Kunstinstallation „Göttin Cisa – Sie ist bei uns“ wiederbelebt werden. In einem „Workshop für Magie und Rituale im Alltag“ wird ein „Zauberlehrling gesucht“.

Wolfgang Krauß, Vertreter der Augsburger Mennonitengemeinde in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) und Delegierter der Freikirchen am städtischen Runden Tisch der Religionen (RTR), wandte sich am 15.7.20 in einem offenen Brief an Oberbürgermeisterin Eva Weber. Sieben weitere freikirchliche ACK-Delegierte unterstützen den Brief.

Darin äußern sie ihr Befremden über die esoterisch geprägte Ausrichtung des von der Stadt Augsburg getragenen Friedensfestprogramms 2020 und beklagen dessen „Paganisierung“. Ritualkritik gehöre „zum Kern des Christentums, ja … jeder monotheistischen Religion. … Der genuin aufklärerische religiöse Impetus der abrahamitischen Religionen“ richte „sich gegen die Anbetung menschengemachter Götter und die Rituale ihrer Verehrung“.    

Das Friedensfest sei „zu wertvoll“, um es „in eine beliebige esoterische Religiosität münden zu lassen“. Die multikulturelle Öffnung des Festes solle nicht zurückgedreht werden. Vielmehr gelte es, diese zu gestalten und am Gründungsereignis von 1650 und der daraus entstandenen Tradition zu orientieren und zu entwickeln.

Die Mennonitengemeinde und die Initiative „Die andere Reformation“ sind selbst mit einigen Veranstaltungen im Programm vertreten.

Wolfgang Krauß

Offener Brief
Bericht von Wolfgang Krauß
Veranstaltungshinweise
Übersicht zum Kulturprogramm 

11 Kommentare zu “Freikirchler schreiben offenen Brief an Augsburger Oberbürgermeisterin”
  1. Hallo Wolfgang,
    hast Du gut gemacht!
    Der offene Brief ist super und sehr gut.
    Super Zeugnis der Stadt gegenüber.
    Gottes Segen für Euch und die Stadt Augsburg!

  2. Es wäre schön und würde zum Frieden der Religionen und der Welt beitragen, wenn man das Fest auf diese Art erweitern würden.
    Diese Freikirchler sind doch nur Störenfriede, die das Friedensfest missbrauchen, ihren Unfrieden zu verbreiten. Dabei ist Frieden ein geradezu universelles Thema und sollte weit über den „eigenen Tellerrand“ hinausgehen. Nur dann kann Frieden gedeihen.
    Den archetypisch-okkulten Ansatz finde ich persönlich sensationell, kann es doch Frieden als Kraft aus unseren Tiefen aufrühren. Dann wäre das Fest etwas, was die griechische Tragödie einst war, Katharsis, innere Reinigung. Und nach der sehnen wir uns in diesen Zeiten ebenso sehr, wie nach Frieden. Ja sie stellt für ihn die Grundlage dar.
    Danke an die Stadt Augsburg und die Verantwortlichen für so viel Mut und Weitsicht. Hoffentlich wird es im Fernsehen übertragen, solch ein Impuls zu Heilung und Versöhnung sollte weite Verbreitung finden.

  3. Zum Thema Religion und Frieden hat unlängst die Religionssoziologin Victoria Rationi internationale Statistiken verglichen und im Buch „Das Religionsparadox“ veröffentlicht – fand ich auch spannend (und beschämend). Hochinteressant auch ihre Theorie vom Religionskreislauf – sorgt für Diskussionsstoff!

  4. Zum Beitrag von @André Buchheim: Zum einen übersteigt es meine Vorstellungskraft, dass dieser Beitragschreiber den Offenen Brief und die Anlage dazu wirklich gelesen hat, bevor er seinen Beitrag hier geschrieben hat. Zum anderen finde ich sein Beitrag deplatziert.

    Ich habe weder mit Mennoniten noch mit einer anderen Kirche etwas am Hut, aber ich unterstütze das Anliegen „Frieden“. Aus diesem Grunde finde ich den Brief mehr denn angebracht, als Notwenigkeit, wenn etwas derart aus dem Ruder läuft wie beim Augsburger Friedensfest.

  5. Augsburg muss Vorbildstadt bleiben

    Gedanken zum Augsburger Friedensfest 2020

    Das Hohe Augsburger Friedensfest, 1650 erstmals gefeiert, ist in den Geschichtsbüchern über die Frühe Neuzeit neben der Reformation, den daraus resultierenden kriegerischen Auseinandersetzungen bis zum Westfälischen Frieden von 1648 eine feste Größe und eines der wenigen positiven Ergebnisse über das Ende der unsäglichen Religionskriege. 30 Jahre ging es darin weniger um die Hoffnung auf ein friedliches Miteinander, als vielmehr um Machterhalt der Landesherren, die ihre Konfession aus politischem Kalkül wechselten wie ihr Hemd. Ein allgemeiner Frieden aber, so lehrt es uns die Geschichte, blieb und bleibt Utopie. Was aber muss das Ziel aller Menschen sein? Ein friedliches Mit- und Nebeneinander.
    Hier muss Augsburg Vorbildstadt bleiben!
    Das heißt aber nicht, auf Biegen und Brechen ein Kulturprogramm rund um den 8. August zu organisieren, das zwar ein bisschen Frieden verkündet, ansonsten aber den allgemeinen Eventhunger stillt.
    2020 hieß das Friedensfest- Motto #Rituale, was sich kontraproduktiv entwickelte. Zwar gehören Rituale in unser Leben, auch in unser religiöses Leben. Doch okkulte Praktiken wie das Legen von Tarotkarten, das Beschwören unbekannter Mächte stehen in allen (!) monotheistischen Religionen auf dem Index.
    Die Verantwortlichen für das nicht nur für Christen befremdliche Programm sollten sich wieder an den Ursprung des Hohen Augsburger Friedensfestes erinnern und nicht am Mainstream orientieren.
    Damit in diesem Durcheinander bekennendes Christsein nicht zu kurz kommt, hier Friedensbotschaften aus dem Alten und Neuen Testament, die erklären, was es heißt, in Frieden zu leben.
    Psalm 34, 15:Lass ab vom Bösen und tue Gutes; suche Frieden und jage ihm nach!
    Matthäus, 5,9: Seig sind die, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.

  6. Diese Diskussion hier ist wirklich speziell. Am den Kommentaren von Herrn Buchheim fällt auf, dass er nach Frieden ruft – und im selben Atemzug klar abwertend und demonstrativ „diese Freikirchler“ pauschalisierend als ‚Störenfriede‘ verunglimpft. Ein interessanter Weg eines Bemühens um Frieden. Am Kommentar von Frau Mansfeld dagegen fällt auf, dass sie behauptet, nichts „mit Kirchen am Hut“ zu haben. Wenn dem so ist, dann ist es nicht schlüssig, warum sie dann Tarot-Karten oder kultische Tänze nichtchristlicher Religionen als etwas betrachtet, was „aus dem Ruder läuft“. Aus der Perspektive derer, die Tarot-Karten legen oder die einer nichtchristlichen Religion angehören, kann die jeweilige Praxis selbstverstädnlich ein Beitrag zum Frieden sein. Und Frau Schiller müsste – nachdem sie beide Bibelstellen zitiert und in den Kontext des ‚offenen Briefs‘ stellt – benennen, was sie als „Böses“ und was sie als „Gutes“ versteht. Und sie müsste begründen, warum nicht auch Angehörige nichtchristlicher Religionen oder Menschen, die überhaupt keiner Religion „Frieden stiften“ können. Fast schon grotesk allerdings wird es, wenn auf dieser Kommentar auf einer freikirchlichen [!] Website den päpstlichen Index, der im Kontext von Frau Schillers Kommentar allein als Bezug in Frage kommt, als maßgebliche Richtschnur ins Spiel bringt.

  7. C. Würzburger: Ich werde immer darauf aufmerksam machen, wenn Menschen pauschal in Gruppen abgewertet werden, sei es aus Glaubensgründen, wegen Hautfarbe, Nationalität oder was auch immer als Grund für diese Abwertung herhalten muss. Und genau das ist dieser Brief in meinen Augen, er wertet Menschen anderen Glaubens und anderer spiritueller Zugänge pauschal ab. Es kann kein Frieden entstehen, wo Menschengruppen abgewertet werden. Und Verzeihung, dieses Urteil steht uns Menschen einfach nicht zu, nur Gott allein. Wir sollten ALLE einladen und NIEMAND ausschließen, ansonsten wäre der gefeierte Frieden nicht echt.

  8. Andre Buchheim: Genau das ist das von mir angesprochene Problem Ihrer Argumentation: Sie schreiben, Sie würden „immer darauf aufmerksam machen, wenn Menschen pauschal in Gruppen abgewertet werden“ – soweit so gut. Wenn Sie in Ihrer Argumentation schreiben, „Diese Freikirchler sind doch nur Störenfriede, die das Friedensfest missbrauchen, ihren Unfrieden zu verbreiten“, dann tun Sie selber genau das, was Sie an anderen kritisieren.

  9. Zitat aus dem Offener Brief: „Beim Durchblättern des Programmheftes wachsen jedoch unsere Fragezeichen: Ein Gastbeitrag schildert das Ritual der „Kogi“ in der Sierra Nevada de Santa Marta: „von einer rituellen Priesterschaft beherrscht“ werden die Priesterkandidaten im Alter von drei Jahren von ihren Familien getrennt und achtzehn Jahre in Dunkelheit gehalten, „um an die neun Monate im Mutterleib zu erinnern. In all dieser Zeit existiert die Welt nur als Abstraktion, wahrend sie in die Werte ihrer Gesellschaft eingewiesen werden. Eine barocke Religiositat, die überwältigend ist.“ Programmheft 2020, S. 14. Der Autor distanziert sich NICHT von solch menschenverachtenden Praktiken. Dreijährige Kinder werden ihrer Kindheit, Familie und Jugend beraubt. Jede Entwicklung eigener Identität und Selbstbestimmung wird verhindert. Ein Beispiel, dass manche Kulte und ihre Rituale eben keine harmlose Folklore sind.“

  10. Dominik: Und was willst Du da tun? Es handelt sich um ein indigenes Volk von 6000 Individuen. Willst Du ihnen ihre traditionelle Kultur rauben, sie damit als Volk der Vernichtung preisgeben? Wir haben kein Recht, über diese zu urteilen, erst recht nicht als Träger einer Kultur, die dabei ist, die ganze Welt zu vernichten. Es liegt ja vieles in Gottes Hand, aber die Erschaffung des Friedens ist in unserer Verantwortung. Dieser eurozentrisch-rassistische Blick auf eines der letzten Ur-Völker hilft da nicht weiter.

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