Während in Deutschland mal wieder über die Wehrpflicht diskutiert wird, begeht der Schweizer Bruno Sägesser diese Woche ein ganz persönliches Jubiläum: Vor 50 Jahren verweigerte er in der Schweiz den Wehrdienst, und kam vor ein Militärgericht. Ein persönlicher Bericht:

In der Ukraine tobt ein grausamer Krieg, in Israel erlässt eine neue Regierung, mit dubiosen Mitgliedern, unhaltbare Gesetze und an mindestens weiteren fünfzig Orten auf der Welt eskalieren Konflikte. Immer noch wird uns von Politikern und Militärs die Lüge vermittelt, mit mehr Waffen gibt es Frieden. Am Anfang jedes Krieges wird auf Waffen gesetzt und am Ende eines Krieges wird von einer Katastrophe gesprochen. Auch die Schweiz ist drauf und dran, weitere Waffen zu liefern. Dies ist für mich nicht deckungsgleich mit dem, was uns Jesus Christus vorgelebt hat.

Vor fünfzig Jahren, am 2. Februar 1973, stand ich, 22 Jahre alt, als Militärverweigerer vor dem Militärgericht in Aarau. Für mich war dies in meinem bisherigen Leben der emotionalste, intensivste Tag.

Mindestens drei Jahre war die intensive Vorbereitung auf diesen Tag: Als Person ohne mennonitischen Stammbaum hörte ich mir Predigten von Paul Hofer und Samuel Gerber an. Ich wurde mehr und mehr beeindruckt von täuferischer Theologie und täuferischer Geschichte. Im intensiven Bibelstudium, im Gespräch mit christlichen Soldaten und armeekritischen Christen, sicher auch geprägt von Gedanken der 68er-Bewegung, reifte nach einschlägigen Erfahrungen in meiner Rekrutenschule der Entscheid, dass es für mich, als Nachfolger von Jesus Christus, keinen Platz mehr in der Armee gibt.

Nun am 2. Februar 1973: Sieben uniformierte Richter vor mir, rechts neben mir ein hoher Offizier als Ankläger, links neben mir ein 22-jähriger Theologiestudent und Freund als Verteidiger und hinter mir einige Sitzreihen mit Freund:innen als Begleiter:innen. „Drei Monate Gefängnis, unbedingt“, war das Urteil. In den drei Gefängnismonaten träumte ich davon, dass, falls ich mal Söhne haben werde, unsere Söhne, falls sie gleich entscheiden wie ich, einen Zivildienst leisten können.

Dies war der Anfang eines weiten Weges. Als Christ und Vertreter der Mennoniten, durfte ich, wollte ich für einen Zivildienst kämpfen. 23 Jahre später, 1996, erhielt die Schweiz endlich den zivilen Ersatzdienst. Dies war wieder ein hochemotionaler Moment.

Enorm viel Zeit, Geld und Kraft wurden von mir, Heidi und vielen anderen investiert. Ich bin dankbar für die Freundschaften, die sich in dieser Zeit entwickelten. Türen öffneten sich zu vielen hundert Freundinnen und Freunden auf der ganzen Welt. In einigen Kriegs- und Krisengebieten durften Heidi und ich Menschen treffen und von ihrer Not und ihrem Leben hören. Neben Mitmenschen aus vielen Konfessionen trafen wir auch edle religionskritische Mitmenschen, die sehr konsequent und vorbildlich lebten und leben. Für mich und Heidi hat sich der Weg gelohnt, wir haben uns von Gott begleitet und getragen gefühlt.

Mein Traum(a) geht weiter: Als Christen sollte unser Leben ähnlicher werden, wie das Leben, das uns Jesus Christus vorgelebt hat. Hunderte von Bibelstellen reden von Frieden und Gerechtigkeit.

Bruno Sägesser

Bruno und Heidi Sägesser-Rich sind Mitglieder der Evangelischen Mennonitengemeinde Schänzli, CH-Muttenz und Eltern von neun Kindern

4 Kommentare zu “Den Militärdienst verweigern – Ein mutiger Entschluss für den Frieden”
  1. Drei Monate Gefängnis sind für Schweizer Verhältnisse ein extrem mildes Urteil, nur wenige hatten so viel Glück. Andere Wehrdienstverweigerer wurden vom Schweizer Staat brutal verfolgt, über die Landesgrenzen hinaus, ihr Leben wurde regelrecht zerstört. Oft wurde mit allen Mitteln versucht, sie wieder in die Schweiz zu zwingen, um sie zu vernichten. Es gibt zwei Gruppen von Wehrdienstverweigerern, jene, die nur den Militärdienst verweigern und die Totalverweigerer. Letztere waren auch nicht bereit, eine Wehrpflichtersatzabgabe (Militärersatzsteuer) zu bezahlen. Den meist Militärdienstverweigern hat man jede Möglichkeit genommen, beruflich etwas zu erreichen. Es fand eine regelrechte Ächtung statt. Von einem Täufer ist bekannt, dass sie ihn 20 Jahre nach seiner Vertreibung, er musste flüchten, um sein nacktes Leben zu retten, im Jahr 2003 und auch noch später mit Gewalt zurück in die Schweiz zwingen wollten.
    Bis heute gibt es keine Rehabilitierung von Militärdienstverweigern, viele sehen sich nach wie vor verfolgt.

  2. Antwort an Reto:
    Lieber Reto, deiner Einschätzung stimme ich zu. Mein «extrem mildes Urteil» kam zustande, weil ich rein religiös argumentierte und ethische sowie politische Aussagen verschwieg. Zudem hatte ich auch «17 Wochen Militärerfahrung», die ich vorbrachte. Ehrlichere Verweigerer erhielten damals bis 12 Monate Gefängnis. Diese Gedanken belasteten mich hie und da schon, dass ich ein «Privileg» in Anspruch nahm.
    Zur Militärpflichtersatzabgabe habe ich auch meine Geschichte:
    Aus Gewissensgründen kämpfte ich zwischen 1983-1994 ein weiteres Mal mit der Schweizer Justiz. Weil ich, trotz abgesessener Gefängnisstrafe, jedes Jahr eine Militärpflichtersatzrechnung erhielt, weigerte ich mich während 8 Jahren, diese Abgabe zu entrichten. Meine Formulierung war: „Was ich mit meinem Körper und Geist nicht unterstützen kann, kann und darf ich auch nicht mit meinem Geld unterstützen.“
    Als ich auf diesen Weg einstieg, erhielt ich den entmutigenden Einwand: „Alleine schaffst Du keine Änderung. Es müssten mehr Leute sein“.
    Es wäre sicher gut gewesen, wenn es mehrere gewesen wären, aber diese Leute waren mir nicht bekannt. Trotzdem konnte ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, diese Ersatzzahlungen zu leisten. Wichtig war für mich auch, dass mich meine Frau auf diesem Weg unterstützte!
    Für jedes Jahr nicht bezahltem Militärpflichtersatz waren, neben einer (Lohn-)Pfändung, noch 1 – 10 Tage unbedingtes Gefängnis angedroht.
    Nach einiger Zeit kamen die Gerichtsverhandlungen. Es war mir ein Anliegen, dass jedesmal eine öffentliche Verhandlung stattfand. Neben Freunden luden wir jeweils auch einen Journalisten ein, der Gerichtsverhandlung beizuwohnen. Hier fiel mir auf, dass es den Richtern und dem Staatsanwalt, durch den persönlichen Kontakt mit mir, und einer anwesenden Öffentlichkeit, deutlich schwerer fiel, ein Urteil zu fällen, so wie es das Bundesgericht vorschrieb. Ich präsentierte mich als engagierten Berufsmann, regelmässigen Steuerzahler, Vater einer Grossfamilie und sozial engagierten Mitbürger in der Friedensarbeit und der Suchtkrankenhilfe im Blauen Kreuz.
    Es gelang nach einigem Hin und Her in Verhandlungen beim Arlesheimer Polizeigericht und vor dem Baselbieter Obergericht, einen Präzedenzfall zu schaffen. Ich war der erste, der für dieses „Vergehen“ nicht mehr zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Dies bewirkte dann, dass dieses Urteil am 05.Sept. 1990 schweizweit in der Presse erschien und anschliessend auch in den anderen Kantonen angewandt wurde. Diese Publizität half sicher auch, dass den Zivildienstleistenden ab 1996 nicht auch noch Militärpflichtersatzzahlung auferlegt wurde.
    So denke ich, konnte ich mithelfen, etwas konkret zu erreichen. Offensichtlich waren auch andere unterwegs, von denen ich nichts wusste. Aber ich denke, mich hat es dazu auch gebraucht.
    Bruno Sägesser

  3. Ich schliesse mich der Diskussion an: Es ist nie zu spät für eine Militärdienstverweigerung, ob von Anfang an oder erst später. Es kann je nach Situation im Hinblick auf die zu erwartende Strafe sinnvoll sein, einzurücken und dann, am besten vor der Vereidigung, nein zu sagen. In einem Milizsystem wie der Schweiz, wo die ganze Gesellschaft davon durchdrungen ist (war), zeugt eine Militärdienstverweigerung selbst in Friedenszeiten von eminentem Mut. Abträglich und zusätzlich belastend für die Verweigerer ist, dass es kein Rezept gibt, wie sie vorgehen können. Jeder muss seinen eigenen Weg gehen. Nur wenige, die aus religiösen Gewissensgründen verweigerten, argumentierten religiös, weil ihnen schlicht eine Religionsgemeinschaft fehlte, die unterstützend hinter ihnen stand. Aber Gewissensgründe bleiben Gewissensgründe. Einzelkämpfer und das waren alle, haben es bei der Militärdienstverweigerung immer schwer, wie es auch aus Sägessers Beitrag hervorgeht.
    Bis in die 1990er Jahre war die erste Frage in der Schweiz nicht „Wie ist dein Name?“, sondern „Bist du beim Bund?“, dann die Frage nach der Funktion beim Bund, und erst dann die Frage nach dem Namen. Der Untertan hat zu funktionieren. Militärdienstverweigerer werden in der Schweiz als Staatsfeinde behandelt, tyrannisiert und ständiger Willkür ausgesetzt, viele sind daran zerbrochen. Sie sind die wahren Helden der Demokratie!

  4. Lieber Bruno, ich bewundere Deinen Mut und Deine Beharrlichkeit. Ich dachte immer, Du seist ein treuer Täufer, aber Du bist wohl erst später zu den Täufern (Mennoniten) gekommen und vielen ein Vorbild geworden.

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