Am 29. Oktober 2019 versammelten sich in Erfurt etwa 80 Mennoniten, Baptisten und Angehörige anderer Kirchen zu einem Studientag der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (AcK) unter dem Titel „Nonkonformisten – Märtyrer – Visionäre. Der Beitrag der täuferischen Kirchen zu Theologie, Ökumene und Weltdeutung“. Veranstalter des Studientages war der Verein „500 Jahre Täuferbewegung 2025 e.V.“, dem Vertreter mennonitischer Gemeinden und des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden angehören.
Dass der Auftakt zum Gedenken an 500 Jahre Täuferbewegung ausgerechnet im Augustinerkloster Erfurt, in dem Martin Luther als Mönch gelebt hatte, stattfand, war ein schönes Zeichen der Offenheit und Wertschätzung innerhalb der Familie der reformatorischen Kirchen. Damit war der Rahmen gesteckt, in den sich der erste Hauptvortrag mühelos einordnete. Die Oldenburger Kirchenhistorikerin Prof. Dr. Andrea Strübind machte deutlich, dass die Täufer nicht als deviante oder randständige Fehlentwicklung der „eigentlichen“ Reformation gedeutet werden dürften, sondern vielmehr als gleichberechtigter, wenn auch pluriformer Teil des reformatorischen Aufbruchs. Sie sprach sich dafür aus, noch viel stärker als bisher die Verflechtungsgeschichte der verschiedenen reformatorischen Bewegungen in den Blick zu nehmen und das „spannungsvolle Gegenüber und Miteinander“ zu erhellen. Die bleibende Bedeutung der Täuferbewegung sah sie in der Ausbildung von Gemeinden mit egalitären Strukturen, im Einsatz für Glaubens- und Gewissensfreiheit und in der konsequenten Nachfolge. Daneben gebe es aber auch Gefährdungen und Grenzen, mit denen die täuferischen Kirchen in ihrer Geschichte zu tun hatten. Sie nannte hier das dualistische Weltbild, das zur Absonderung geführt habe, oder ein exklusives Gemeindeverständnis, das sich mit einer umfassenden Sozialkontrolle verbunden habe. Weitere Probleme bestünden in der Vernachlässigung des universalen Sendungsauftrags der Christen und im Biblizismus.
Den zweiten Hauptvortrag hielt der Theologe Prof. Dr. Marco Hofheinz (Hannover), der die ethischen Ansätze dreier nordamerikanischer Theologen des 20. Jahrhunderts vorstellte. Der Mennonit John H. Yoder, der Baptist James W. McClendon und der Methodist Stanley Hauerwas haben jeweils erforscht, wie das Friedenszeugnis und die Gewaltlosigkeit der Täufer auf die heutige Situation bezogen werden kann.
Das sich anschließende Podium war mit PD Dr. Astrid von Schlachta (Mennonitischer Geschichtsverein, Weierhof), Alexander Neufeld (Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Brüdergemeinden, Dresden), Prof. Dr. Dorothea Sattler (Römisch-katholische Kirche, Universität Münster) und Dr. Lothar Triebel (evangelisch, Konfessionskundliches Institut Bensheim) ökumenisch besetzt. Dorothea Sattler bekannte, viele Impulse aus der täuferischen Theologie empfangen zu haben, etwa die Wertschätzung der Taufe, die Betonung der Einzelgemeinde oder die Friedensbotschaft in Wort und Tat. Es gebe im ökumenischen Gespräch allerdings auch Punkte der künftigen Verständigung, etwa das Abendmahl, die Frage nach der Bedeutung übergeordneter kirchlicher Ämter oder die Schrifthermeneutik. Im Übrigen sprach sie sich dafür aus, anstatt Konvergenzerklärungen aufs Papier zu bringen, sich lieber zusammenzusetzen und von den eigenen Erfahrungen in den jeweiligen kirchlichen Traditionen zu erzählen. Alexander Neufeld wies darauf hin, dass die täuferische Bewegung viele Gaben in die Ökumene einbringen könne, etwa die Betonung der Nachfolge Jesu, die Rolle der Kirche als freiwillige Bekenntnisgemeinschaft oder das Versöhnungs- und Friedenszeugnis. Gleichzeitig gebe es aber auch Mentalitäten, die aus dem Minderheitenstatus erwachsen seien und das ökumenische Gespräch belasten, etwa eine gewisse Opfermentalität oder – als ebenfalls mögliche Konsequenz – eine gewisse Arroganz gegenüber den „großen“ Kirchen.
Lothar Triebel zeigte sich dankbar, dass Impulse aus den täuferischen Kirchen auch in der Theologie der Landeskirchen zu einem vertieften Taufverständnis geführt hätten, beobachtet allerdings in den täuferischen Kirchen eine „unordentliche Taufpraxis“. Er wies darauf hin, dass das Fehlen einer zentralen mennonitischen bzw. baptistischen Organisation die ökumenische Zusammenarbeit erschwere, da dadurch Unklarheiten über Zuständigkeiten und Ansprechpartner entstehen. Astrid von Schlachta betonte deshalb noch einmal die Vielfältigkeit der täuferischen Bewegungen und Kirchen, auf die man am besten mit gesunder Neugier und Gesprächsbereitschaft reagiere. Als Schatz der täuferischen Kirchen nannte sie deren internationale Vernetzung, die schnelle Hilfeleistungen ermögliche, und die gemeinsame Auslegung der Bibel.
Andreas Liese vom Verein „500 Jahre Täuferbewegung 2025 e.V.“ informierte über die weiteren Pläne des Vereins. So soll im Mai 2020 beim Mennonitischen Gemeindetag (Weierhof) und zeitgleich bei der Bundesratstagung der Baptisten (Kassel) das das erste von fünf Themenjahren zu „500 Jahre Täuferbewegung“ offiziell eröffnet werden. Das Themenjahr steht unter dem Motto „mündig leben: Taufe – Freiwilligkeit – Religionsfreiheit“. Dazu wird im Frühjahr ein umfangreiches Magazin erscheinen, das Hilfen für die Auseinandersetzung mit dem Thema in den Gemeinden bietet.
Ulrike Arnold
Kommentar/Korrektur von Lothar Triebel vom Juni 2020:
Pfr. Dr. Lothar Triebel
Leider ist eine meiner Aussagen missverstanden und im obigen Bericht ins Gegenteil verkehrt worden: Ich habe einen der bedeutendsten landeskirchlichen Systematischen Theologen im letzten Drittel des 20. Jh.s zitiert, der von „unordentlicher Taufpraxis“ in Bezug auf die Landeskirchen gesprochen hat; mitnichten habe ich solches in Bezug auf die täuferischen Kirchen gesagt.
Leider ist eine meiner Aussagen missverstanden und im obigen Bericht ins Gegenteil verkehrt worden: Ich habe einen der bedeutendsten landeskirchlichen Systematischen Theologen im letzten Drittel des 20. Jh.s zitiert, der von „unordentlicher Taufpraxis“ in Bezug auf die Landeskirchen gesprochen hat; mitnichten habe ich solches in Bezug auf die täuferischen Kirchen gesagt.