Zehn Jahre lutherisch-mennonitische Versöhnung.Wolfgang Krauß berichtet über einen besonderen ökumenischen Gottesdienst:
Augsburg, 8.8.2020. Hundertsiebzig Leute nur werden eingelassen in die Basilika St. Ulrich und Afra. Fassen würde sie 700 oder mehr. Da sitzen wir nun auf Abstand, ev.-lutherische, katholische, orthodoxe und freikirchliche Christen, auch Muslime, Buddhisten, Jesiden, Aleviten vom Runden Tisch der Religionen. Nach sechs Wochen Programm findet das Augsburger Hohe Friedensfest im ökumenischen Gottesdienst seinen Höhepunkt.
Die wunderbare Akustik der Basilika lässt die Choräle auch in dieser Besetzung klingen. Orgel, Chor und Posaunen versetzen uns in festliche Stimmung. Seit Jahren bin ich auf diesen Gottesdienst abonniert, sonst in einer überfüllten Kirche. Zum ersten mal bin ich als Vertreter der „anderen Kirchen“ eingeladen, in der Liturgie mitzuwirken. Der ökumenische Gottesdienst zum Hohen Friedensfest hat sich geöffnet.
Der Münchener Oberkirchenrat Michael Martin predigt über Markus 14, 43-50. Jesus wird verraten durch einen Kuss und eine innige Umarmung. Martin verbindet den Text mit dem aktuellen Thema des Friedensfestes „Rituale“ Er verweist auf die Ambivalenz und die möglichen Folgen von Ritualen. Er skizziert die Entwicklung des Friedensfestes zu ökumenischer Gemeinsamkeit. Auf zwei globale Versöhnungsgeschichten geht er näher ein. Bei der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) im schwedischen Lund 2016 war Papst Franziskus zu Gast. Gemeinsam wurde Gottesdienst gefeiert und nach der Unterzeichnung von Dokumenten über den Weg zu zukünftiger Einheit am Tisch des Herrn umarmten sich Franziskus und LWB-Generalsekretär Martin Junge.
Die zweite Versöhnungsgeschichte betrifft uns Mennoniten. Vor zehn Jahren am 22. Juli 2010 fragte der amerikanische Bischof Mark Hanson die Vollversammlung des LWB in Stuttgart, ob sie die Täufer und Mennoniten um Versöhnung bitten wolle für die lutherische Beteiligung an der Verfolgung der Täufer im 16. Jahrhundert. Einstimmig wurde das dann beschlossen. Manche der Delegierten knieten dazu nieder. Der Präsident der Mennonitischen Weltkonferenz Danisa Ndlovu akzeptierte die Bitte „nicht erhobenen Hauptes, sondern in Demut“. Und so umarmten sich die beiden Präsidenten zum Zeichen der Versöhnung. Martin schließt die Predigt mit dem Wunsch, das Ritual des Augsburger Friedensfest möge aufzeigen, dass Frieden möglich war und möglich ist heute.
Nach der Predigt darf ich mit einer Episode aus der Augsburger Vorgeschichte dieser Versöhnung zum Friedenszeichen einladen. Am Ostersonntag 1528 war eine Täuferversammlung im Haus der Susanna Daucher von der Stadtwache gesprengt worden. Drei der Versammelten wurden dazu verurteilt, mit einem glühenden Eisen ein Kreuz in eine Backe gebrannt zu bekommen. Der Prediger Hans Leupold wurde hingerichtet. – Wie anders in Stuttgart 2010. Dort feierten wir Versöhnung. Im Gottesdienst wurden Ölschälchen durch die Reihen gereicht. Wir durften wir einander mit dem von Öl benetzten Finger ein Kreuz auf den Handrücken oder die Backe zeichnen.
Das geht nicht 2020 beim Augsburger Friedensfest in Zeiten von Corona. Aber wir können uns doch mit dem Zeichen des Kreuzes gegenseitig segnen und Frieden wünschen. Und im Blickkontakt mit den anwesenden Muslimen sage ich: Diejenigen unter uns, die vielleicht Probleme mit dem Zeichen des Kreuzes haben, seien es Juden, Muslime, Buddhisten oder wer auch immer, mögen ein anderes Friedenszeichen machen, wie es euch angenehm ist.
Während der Friedenszeichen sang der Chor „I give you a new commandment … Ich gebe euch ein neues Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe.“ Mit Glaubensbekenntnis, Fürbitten, Vater Unser, Sendung und Segen klang der Gottesdienst aus.
Viele sprechen mich hinterher an auf unsere lutherisch-mennonitische Konflikt- und Versöhnungsgeschichte.
Zwei Stunden später im Annahof tauschen die Vertreter der Religionsgemeinschaften die traditionellen Friedensgrüße aus. Diesmal leider ohne die große Friedenstafel, wo mehr als 1000 Menschen Essen und Trinken teilen. Auch hier alles mit Abstand. Mein Friedensgruß für Mennonitengemeinde und Freikirchen aktualisiert wieder die täuferische Osterversammlung 1528.
Ein seltsames Jahr 2020. Keine Gottesdienste an Ostern. 1528 waren in Augsburg täuferische Gottesdienste verboten. Im Verhör wurden die verhafteten Teilnehmer gefragt, ob sie ein geheimen Gruß, ein Erkennungszeichen hätten. Veronika Groß, deren Mann schon sieben Monate gefangen lag, antwortete: „Nein, sie haben kein Zeichen, … außer dass sie einander Frieden wünschen. An den Worten erkennen sie einander und dass sie Brüder und Schwestern seien.“
Und so grüße ich euch auch heute: Friede sei mit euch!
Wolfgang Krauß
Foto: Irmgard Hoffmann
Seit 370 Jahren gefeiert
Der 30jährige Krieg war zu Ende. Die Reformation hatte überlebt. In Augsburg bekamen die Lutheraner ihre Kirchen zurück und wurden als gleichberechtigte Religion anerkannt. Am 8. August 1650 feierten sie deshalb das erste „Hohe Friedensfest“. Denn an einem 8. August während des Krieges hatten ihnen die Katholiken die Kirchenschlüssel weggenommen. Ein Dankfest, für die ersten Jahrhunderte mit deutlich antikatholischem Impuls. Zum 300jährigen Jubiläum 1950 machte der Bayerische Landtag das Friedensfest zum gesetzlichen Feiertag im Augsburger Stadtgebiet. Danach wurden Brücken gebaut zur katholischen Kirche, das Fest wurde bilateral ökumenisch. Im neuen Jahrtausend dann – unter städtischer Regie – multikulturell und multireligiös. Zum Ökumenischen Gottesdienst am 8. August 2020 ist die ganze Stadtgesellschaft eingeladen. Die Liturgie jedoch war bisher fest in lutherischer und katholischer Hand.