Während sich in Deutschland mancher Sorgen macht, ob noch genug Toilettenpapier oder die günstigen Nudeln zu haben sind, stehen andernorts Menschen zwischen den Fronten und fürchten um ihr Leben. In einem Kommentar „Aufruhr an der Grenze Europas“ ruft J. Jakob Fehr vom Deutschen Mennonitischen Friedenskomitee zu Gebet und umsichtiger Politik auf.

HIer der Brief vom 3. März:

Aufruhr an der Grenze Europas
Eine Stellungnahme von J. Jakob Fehr

In den letzten Tagen gab es dramatische Entwicklungen auf der Insel Lesbos. Zum ersten Mal werden Freiwillige und VertreterInnen von NGOs auf offener Strasse angegriffen. Ein mit europäischem Reisepass ausgestattetes Mitglied des vom DMFK unterstützen Teams (Aegean Migrant Solidarity) wurde zur Polizeistation gebracht, ausgefragt und verwarnt.
Ich versuche, die Situation zu verstehen. Die jüngsten Ereignisse begannen am 24. Februar, als eine große Anzahl von Bereitschaftspolizisten auf die Inseln beordert wurde. Wütend über das aggressive, arrogante Verhalten dieser faschistoiden Truppen bezeichneten einige lokale Griechen diesen überfallartigen Einmarsch als einen „Krieg gegen das eigene Volk“. Die DemonstrantInnen haben durch ihren Protest erreicht, dass diese spezielle MAT-Polizeieinheiten einige Tage später von den Inseln abrücken mussten. Das war ein wichtiger Moment, der viele Menschen zugleich aufbrachte und ermutigte.

Und unmittelbar danach kam ein zweiter hinzu: Erdogans Ankündigung, alle Geflüchtete nach Europa ziehen zu lassen. In einer bereits emotionalisierten Situation war dies einfach zu viel. Wir reden hier von Menschen, die seit fünf Jahren im Ausnahmezustand leben. Dass die Inselbevölkerung von der Europäischen Union allein gelassen wurde, ist Tatsache. Und nun, in einem Zustand der Erschöpfung und ermutigt durch ihre Aktionen gegen die MAT, richtet sich die Wut gegen alle möglichen Aussenseiter und „Feinde“.

Die Veränderung im öffentlichen Diskurs – diese Wagenburg-Mentalität – ist bedenklich. Übertreibe ich? Hier ist ein Augenzeugenbericht vom Montag:

„Eine weitere Nacht des Terrors in Mytilene gestern mit Angriffen und Vandalismus auf Autos und Passagiere, sowohl griechische wie ausländische Staatsbürger. Viele Besucher, Arbeiter und Touristen, die noch auf der Insel sind, wurden schwer angegriffen oder waren in Gefahr. Lesbos ist gefährlich für jeden, der nicht an der wilden Menge teilnimmt.
Das Ziel sind NGOs, die wahllos, aber effektiv jeden schlagen, der ein Mietauto fährt, kein Griechisch spricht, … der anders aussieht als sie, die sich der Kontrolle ihrer Autos durch unbekannte Menschenmengen widersetzen. Viele gewöhnliche Touristen kamen heute Morgen entsetzt am Flughafen an und sagten ihre geplanten Besuche auf der Insel ab, die sie all die Jahre liebten. Gesetzlosigkeit und Gewalt haben sich durchgesetzt und die Besucher von Lesbos müssen darüber informiert werden, was hier vor sich geht!“

Heute morgen, am 3. März, habe ich mit einem Mitglied des Aegean Migrant Solidarity-Teams gesprochen. Das Team müsse sich vorsichtig verhalten, sehe sich aber nicht in unmittelbarer Gefahr, wie jene Freiwillige, die direkt in Moria arbeiten und an Strassenblockaden vorbeifahren müssen.
Was tun? Vor allem muss die Polizei und die PolitikerInnen auf der Insel sofort tätig werden und die aufgebrachten Mobs unter Kontrolle bringen. – Doch ist die einzige Dauerlösung eine veränderte Politik in der EU, sowohl eine großzügigere Flüchtlingspolitik als auch einen starken Einsatz für die Beendung des Syrien-Kriegs.

Betet für alle: für die beängstigte Bevölkerung auf Lesbos, das AMS-Team, die kriegsführenden Parteien und die EU-PolitikerInnen.

J. Jakob Fehr –
http://www.dmfk.de/