LONDON – Die Attentate von London erschüttern viele Menschen. Robert Wiens, Mitarbeiter des DMFK mit Arbeitsschwerpunkt Konflikttransformation war zum Zeitpunkt der Anschläge in London. Er schickte einen Brief an Gemeinden und Interessierte. Das DMFK bittet darum, Roberts Brief in den Gottesdiensten am Sonntag vorzulesen und für Opfer, Angehörige, alle Betroffenen und die Täter zu beten.
Brief von Robert Wiens, derzeit im London Mennonite Centre, 8.7.05
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Liebe Geschwister in Deutschland,
am Donnerstagmorgen um 9 Uhr begannen wir hier im London Mennonite Center den vierten Tag unseres einwöchigen Kurses über die Bearbeitung von Gemeindekonflikten. Ich war an der Reihe, eine kurze Andacht zu halten und las dazu den Text aus Matthäus 14,22-33, die Geschichte vom sinkenden Petrus. Wir erinnerten uns, dass ein hilfreicher Umgang mit Konflikten oft erfordert, das sichere Boot zu verlassen und uns mitten in den Sturm und die Wellen zu begeben. Und genau dort ist in dieser Geschichte Jesus zu finden – mitten im Unwetter auf dem Wasser. Und aus diesem Sturm heraus befiehlt Jesus seinen Jüngern: „Habt keine Angst!“
Fast zeitgleich mit unserer Andacht explodierten mehrere Bomben in Londoner Untergrundbahnen und Bussen. Die Reaktion der Leute um mich herum auf die Nachricht von einem großen terroristischen Anschlag hat mich überrascht. Natürlich machte man sich Sorgen. Wir unterbrachen unseren Kurs für einige Zeit, damit jeder Verwandte und Freunde anrufen konnte. Einige Teilnehmer waren gerade erst mit öffentlichen Verkehrmitteln aus dem Londoner Zentrum gekommen, wo die Bomben explodierten. Die Frau eines unserer Kursleiter war um etwa die betreffende Zeit mit dem Bus ins Zentrum gefahren. Erst am Nachmittag konnte er sie endlich erreichen und sichergehen, dass ihr nicht passiert war.
Nach den ersten Telefonaten kamen wir als Gruppe wieder zusammen und beteten. Wir baten Gott um Trost und Beistand für die Opfer und ihre Angehörigen, wir baten um Kraft und Ruhe für die Hilfskräfte, um Weisheit für Entscheidungsträger im Verkehrswesen und in der Politik, wir baten um Segen für die Arbeit von Seelsorgern und Helfern. Und wir baten Gott gemeinsam für jene Leute, die uns offensichtlich Feinde sind und diese Anschläge zu verantworten haben. Der Rest des Tages stand deutlich unter dem Eindruck der Anschläge. Immer wieder trafen wir uns in Pausen vor dem Fernseher, Leute standen herum und telefonierten mit ihren Handys.
Aber es lag kein Gefühl von Panik in der Luft. Sind es die Erfahrungen mit der IRA die Londoner so ruhig reagieren lassen? Auch die Reaktionen im Fernsehen schienen mir größtenteils durch Ruhe und Besonnenheit gekennzeichnet. Die Grausamkeit der gezeigten Bilder hielt sich in Grenzen. Ein ranghoher Polizist fasste die Stimmung so zusammen: „Wir sind geschockt – aber nicht überrascht.“ Alle schienen sich bewusst zu sein, dass es hätte viel schlimmer sein können, als es ist. Reagieren so Leute, denen ständig bewusst ist, dass ihr Land sich im Krieg befindet? Ist es britischer Humor, dass wir in unserer Gruppe an diesem Tag viel mehr als an anderen gelacht haben? Wir feierten am Abend trotzdem unsere geplante Kursparty. Gedanken an die Anschläge wurden dabei nicht verdrängt. Wenn wir darüber sprachen, war die Stimmung nicht gedrückt, höchstens etwas gedämpft. Vier Leute konnten aufgrund ausfallender Verkehrsmittel nicht mehr in ihre Wohnungen kommen und übernachteten im London Mennonite Center.
Vielleicht reagierten ja meine englischen Geschwister auch deshalb mit solcher Gelassenheit, weil sie Jesu Worte ernst nahmen: „Habt keine Angst!“
Gruß aus London
Robert Wiens
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DMFK – Deutsches Mennonitisches Friedenskomitee
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