ARNOLDSHEIN – Der „Arbeitskreis Friedenstheologie von Church and Peace und Internationaler Versöhnungsbund/Deutscher Zweig“ fordert anlässlich einer ökumenischen Konsultation in Arnoldshain, die Kirchen sollen „ohne den Schutz von Waffen solidarisch mit den Schutzlosen werden“. Damit begegnet der Arbeitskreis einem Dokument der ÖRK zur innerhalb der UN diskutierten „Schutzpflicht“ gegenüber bedrohten Bevökerungen.
In dem auf seiner Vollversammlung 2006 in Porto Alegre beschlossenen Dokument des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) wird ausführlich die Priorität der Prävention von Konfikten betont, darüber hinaus jedoch militärische Gewaltanwendung gebilligt. Kirchen sollen die internationale Gemeinschaft „aktiv zur Intervention zu humanitären Zwecken aufrufen“ (Punkt 18). Einer genuin gewaltfreien Haltung wird zwar Achtung und Respekt (Punkt 4 und 14) bekundet, angesichts der ausdrücklichen Legitimation und sogar Forderung des Einsatzes militärischer Gewalt bleibt dies jedoch folgenlos.
Aus Sorge, dass hier mit Versatzstücken der Lehre des gerechten Krieges erneut militärische Gewaltanwendung kirchlich legitimiert wird, formulierte der Arbeitskreis Friedenstheologie in Arnoldshain (16.-18.11.07) eine Stellungnahme. Darin wird der behaupteten militärischen „Schutzpflicht“ die Bereitschaft „für Christus zu leiden“ gegenübergestellt. Hier die Stellungnahme im Wortlaut.
Für Christus leiden (Suffer for Christ – S4C)
Antwort und Rückfragen zum ÖRK-Konzept „Schutzpflicht“ (Responsibility to Protect R2P)
Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist. 1 Petr 3, 15
1. In der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus geschieht seine humanitäre Intervention gegen die Macht des Bösen. In der Kirche als Leib Christi vergegenwärtigt sich dies in der Überwindung von Sünde und Gewalt. Alle Christen sind beauftragt, demgemäß zu leben und zu handeln.
2. Das Evangelium ist gute Nachricht für die Armen, Ausgegrenzten und Bedrohten. In der Nachfolge Christi ist unser Platz an ihrer Seite. Im wohlhabenden Teil der Welt sind wir als Christen Teil ungerechter Strukturen, die zu Ausbeutung, Armut und in scheinbar ausweglose Konflikte führen und sich in „humanitären“ Krisen/Katastrophen entladen. Als Zeugen/innen Christi sollen wir neben konkreter Nothilfe auch an der strukturellen Beseitigung der Konfliktursachen arbeiten.
3. Anfragen an das das Konzept von R2P
• Wo begegnet uns Christus? In der Gerichtserzählung von Mt 25 werden Taten der Barmherzigkeit geschildert. Lässt sich damit tötende Gewalt legitimieren?
• Wenn zu Recht als Schuld eingestanden wird, dass es nicht gelungen ist, furchtbare Krisen zu verhindern, warum wird damit der Einsatz tötender Gewalt legitimiert?
• Die Rede vom Dilemma provoziert ein Denken in Kategorien der griechischen Tragödie. Jesus hingegen beschreitet mit der Feindesliebe einen dritten Weg jenseits von Passivität und Gewalt.
• Wer ist das Subjekt? Wo liegen in diesem Konzept die Unterschiede in den Aufgabenbereichen von Kirche und staatlicher Verantwortungsträger? Was bedeutet die Rede von der internationalen Gemeinschaft? Hat die Kirche hier etwas anderes zu sagen, als die „Welt“ sich selbst sagen kann?
• Wie kann verhindert werden, dass die in einem Konflikt eingreifenden Schutztruppen nicht ihrerseits Menschen zu Schutzbedürftigen machen, die wiederum auf Schutz anderer angewiesen sind?
• Wie will man verhindern, dass die Gegner dämonisiert werden? Wie gestaltet sich ihnen gegenüber Feindesliebe? Was schützt vor der Sünde der Selbstgerechtigkeit? Werden Menschen, die als Schutzbedürftige betrachtet werden, ausreichend als Subjekte mit eigenen Handlungsmöglichkeiten wahrgenommen?
• Wer entscheidet, ob die Einsatzkriterien erfüllt sind, nach welcher Datenlage? Wo ist Einspruch möglich? Wer trägt die Verantwortung? Wer ist rechenschaftspflichtig und haftbar?
• Handelt es sich nicht doch um Krieg, solange eine internationale Polizei unter internationalem Polizeirecht und einem internationalen Gericht nicht existiert?
• Woher kommt das optimistische Verständnis staatlichen Handelns angesichts der Resourcenvernichtung für Rüstung und „Sicherheit“ ? Warum wird die Verquickung staatlicher und wirtschaftlicher Interessen ausgeblendet?
Zieht man die Argumentationslinien von R2P aus, kommt man zu durchaus wünschens-werten Konsequenzen: Abschaffung aller nationalen Armeen, Abschaffung der schweren Waffen inklusive Atomwaffen, Aufforderung an alle Christen die Armeen zu verlassen und sich zum Aufbau einer internationalen Polizei zur Verfügung zu stellen.
4. Im Zentrum von R2P steht der Begriff der „Verantwortung“ und nicht die biblische Dimension von Rechtfertigung und Zeugnis (martyria). Schon jetzt sind wir befreit, im Horizont des anberechenden Gottesreiches zu handeln. Der Weg Jesu, durch aktive Gewaltfreiheit Feindschaft und Gewalt zu überwinden, fordert nicht Respekt. Er lädt vielmehr alle Menschen ein, ihm nachzufolgen und „als letztes Mittel das Risiko gewaltloser Intervention einzugehen“. Es geht nicht um die Erfüllung eines Prinzips, sondern um die Berufung der Gemeinde zur Nachfolge. Das eröffnet uns Möglichkeiten, die uns als Christen, Gemeinden und Kirche zur Verfügung stehen, beispielsweise:
• langfristige Begleitung von Konfliktparteien in Friedensprozessen (San Egidio in Mozambique, etc)
• gewaltfreie Schutzeskorten für bedrohte Menschenrechtsarbeiter (Christian Peacemaker Teams – CPT, Peace Brigades International – PBI, Ecumenical Accompaniment Program Palestine Israel – EAPPI)
• Ermutigung zur Kriegsdienstverweigerung und Unterstützung von Friedensdiensten, gewaltfreie Wege zum Frieden zu suchen und zu beschreiten.
Die Glaubwürdigkeit unseres Kircheseins wird sich darin erweisen, dass wir in Treue zum Evangelium ohne den Schutz von Waffen solidarisch mit den Schutzlosen werden.
Arbeitskreis Friedenstheologie von Church and Peace und Internationaler Versöhnungsbund/Deutscher Zweig
Dr. Matthias Engelke, Dr. Jakob Fehr, Ekke Fetköter, Hanna-E. Fetköter, Wolfgang Krauß, Marie-Noëlle von der Recke, Christoph Rinneberg
Arnoldshain, 17. 11. 2007