BONN – Eine 17-köpfige Gruppe aus Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Frankreich, der Schweiz, Großbritannien und den USA, die sich aus Vertreter/innen diverser europäischer mennonitischer Gemeinden, Werke, Studienzentren und Netzwerke sowie zweier Netzwerke der historischen Friedenskirchen zusammensetzte, kam am 24. und 25. Oktober in der Oude Abdij in Kortenberg bei Brüssel zusammen, um über die mögliche Einrichtung einer europäischen mennonitischen Kontaktstelle zu europäischen Angelegenheiten zu sprechen.
Ziel der Beratungen war es, die Ideen, Visionen und das potenzielle Interesse der europäischen Mennonitengemeinden und ihrer Werke im Hinblick auf einen solchen Dienst zu sondieren.
Die Europäische Union ist inzwischen ein bedeutender Akteur auf der internationalen politischen Bühne. Fragen in den Bereichen Wirtschaftspolitik, Migration, Umwelt, Menschenrechte und Außen- und Sicherheitspolitik werden zunehmend auf der Ebene der leitenden Organe der EU entschieden. In vieler Hinsicht ist „Brüssel“ das eigentliche Zentrum der europäischen Innen- und Außenpolitik. Da das Mennonite Central Committee (MCC) Verbindungsbüros zur US-Regierung in Washington, zur kanadischen Regierung in Ottawa und zu den Vereinten Nationen in New York unterhält, drängt sich die Frage auf, ob eine ähnliche oder parallele mennonitische Einrichtung auch bei den europäischen Institutionen vorgesehen werden sollte. Die Organisatoren des Beratungstreffens, das Mennonitische Zentrum Brüssel und MCC Westeuropa, sehen ein Potenzial, über eine mennonitische Kontaktstelle in Brüssel einer Vision im Bereich Frieden, Menschenrechte und wirtschaftliche Gerechtigkeit im europäischen politischen Kontext Ausdruck zu verleihen. Im Rahmen früherer und bestehender Partnerschaften des MCC in Westeuropa wurden bereits mehrere mennonitische Gruppierungen auf diese Frage angesprochen.
Bei der Eröffnungssitzung stellte Peter Crossman vom Mennonitischen Zentrum Brüssel die Geschichte der MCC-Büros in Washington und Ottawa und des MCC-Büros bei der UNO vor, die bis 1964 zurückreicht. Ein früher Vorläufer der Idee einer mennonitischen Kontaktstelle in Brüssel war das NATO-Watch-Projekt des Europäischen Mennonitischen Friedenskomitees (EMFK) in Zusammenarbeit mit dem Quäker-Zentrum für europäische Angelegenheiten. Dieses Projekt lief von 1985 bis 1991. Allerdings war den Organisatoren auch bewusst, dass die verschiedenen mennonitischen Gruppierungen in Europa mit ihren insgesamt ca. 50 000 Gliedern, die eine große Bandbreite theologischer Ansichten aufweisen, im Allgemeinen der eher traditionellen mennonitischen Position der Zurückhaltung gegenüber der Auseinandersetzung mit politischen Themen nahe stehen. „Ich bin nicht hier, um die Mennoniten zu überreden, in die Politik einzusteigen“, so Crossman, „sondern um unser Bewusstsein dafür zu schärfen, was Politik eigentlich heißt und was auf der politischen Bühne in Europa vor sich geht, um dann gegebenenfalls zu entscheiden, dass man bestimmte Themen gemeinsam angehen will.“
Neal Blough vom Mennonitischen Zentrum Paris merkte an, dass die Mennoniten zunehmend zur Beteiligung am breiteren kirchlichen Dialog zu gesellschaftlichen Themen eingeladen werden. Das ließe sich als Ermutigung der Mennoniten verstehen, Möglichkeiten des gemeinsamen Zeugnisses zu entdecken, beispielsweise mit den evangelikalen Kirchen oder mit ökumenischen Gremien wie beispielsweise der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), die auf verstärkte Beiträge der Friedenskirchen hofft.
Zu Anfang der Sitzungen im Mennonitischen Zentrum Brüssel am Samstag stellten Vertreter/innen kirchlicher Netzwerke mit Büro in Brüssel ihre Arbeit vor. Pfarrer Matthew Ross von der KEK-Kommission Gesellschaft und Kirche (Commission on Society and Church – CSC, 1973 als ökumenische Initiative zur Arbeit zu europäischen Themen ins Leben gerufen) betonte, dass die KEK 125 Mitgliedskirchen hat und sich dies häufig in einer Vielzahl von Meinungen niederschlägt. „Wo fügen sich hier die Mennoniten ein?“, fragte Ross zu Beginn seines Vortrags. „Die niederländischen Mennoniten beteiligen sich an der KEK. Ich sage Ihnen, was die Mennoniten beitragen können. In Osteuropa ist das Gedankengut der Friedenskirchen noch ein Novum. Hier können Sie etwas tun. In der KEK brauchen wir Friedenskirchen – und den Mennoniten kommt hier eine lobenswerte Rolle zu – als Sauerteig im Teig, um uns anzutreiben, uns mit all unserer Kraft für den Frieden einzusetzen. Andere werden vielleicht sagen: Die Mennoniten sind naiv! Ich sage: Na und? Es ist Ihre Pflicht, andere zu beschämen, die zu leicht der Versuchung nachgeben, Kompromisse einzugehen.“ Church and Peace, assoziiertes Mitglied der KEK, beteiligt sich an der CSC-Arbeitsgruppe „Friedensentwicklung in Sicherheit“, einem der fünf von der CSC bearbeiteten Schwerpunkte.
Marianne Dees hielt einen Vortrag im Namen der Europäischen Evangelischen Allianz (EEA), die evangelikale Kirchen aus 35 europäischen Ländern mit insgesamt ca. 50 Millionen Mitgliedern vertritt und 1997 ein Büro in Brüssel eröffnet hat. „Wir werden oft gefragt: Warum seht ihr für euch eine Rolle in den Institutionen der Politik ?“, berichtet Dees. „Auch wenn es viele christliche Argumente für ein Fernhalten aus der Politik geben mag, sind doch Jesu Worte zu Salz und Licht von Belang. Gottes Herrschaft sollte nicht aus dem politischen Bereich ausgeklammert werden. Wenn die Politik als schmutziges Geschäft angesehen wird, wer wäre dann besser geeignet, etwas zu bewirken, als die Christen?“ Die EEA hält ein wachsames Auge auf Fragen wie die Religionsfreiheit in der EU-Politik und legt jedes Jahr konkrete Arbeitsschwerpunkte fest, wenn einzelne Gesetze in den nationalen Parlamenten anstehen.
Den dritten Vortrag hielt Jos de la Haye vom europäischen Verbindungsbüro zu Friedensfragen (European Peace Liaison Office – EPLO), einem Bündnis von Nichtregierungsorganisationen mit Interesse an der Friedensarbeit. EPLO entstand im Jahr 2000 als Initiative mehrerer Organisationen, darunter des QCEA (Quaker Council for European Affairs – Quäkerrat für europäische Angelegenheiten, 1975 in Brüssel ins Leben gerufen), die ein erstes Treffen einberufen hatten, wie de la Haye erläuterte. Damals stellten die Gründer fest, dass die entwicklungspolitischen Organisationen sich gute Schnittstellen zur EU geschaffen hatten, dass es aber im Bereich Friedensarbeit und Konfliktmanagement an entsprechenden Strukturen fehlte. Inzwischen gehören EPLO zwanzig Organisationen an, darunter World Vision. EPLO bemüht sich um den Dialog mit den verschiedenen EU-Gremien und will das Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen Friedensentwicklung und nachhaltiger Entwicklung weltweit schärfen sowie die wichtige mögliche Rolle der Nichtregierungsorganisationen bei der Friedensentwicklung herausstellen. „Zur Arbeit von EPLO gehört es auch, den Mitgliedsorganisationen im Rahmen der Erarbeitung von EU-Gesetzen Gehör zu verschaffen“, berichtet de la Haye.
Die Abschlusssitzung am Nachmittag war Fragen und Diskussionen gewidmet. Ein Kommentar hob hervor, wie wichtig es ist, sich der Verschiedenheit der europäischen Mennoniten bewusst zu sein, die eher nationale Identitäten haben und sich daher vielleicht nicht so sehr als Teil einer europäischen mennonitischen Präsenz sehen, was sich bei einem gemeinsamen Versuch, eine europäische mennonitische Kontaktstelle einzurichten, als Schwierigkeit erweisen könnte. Insgesamt herrschte jedoch Zuversicht und das Bestreben, den Gedanken weiterzuverfolgen, vor.
Die Teilnehmer/innen kamen überein, eine Arbeitsgruppe einzurichten, um die Erwägungen der Beratungssitzung weiterzuentwickeln, sich mit den führenden Vertreter/innen der europäischen mennonitischen Konferenzen im Hinblick auf deren mögliche Beteiligung abzustimmen, die bei der Sitzung geäußerten Fragen und Kommentare auszuarbeiten und bis zum 1. April 2007 Empfehlungen zu einem Prozess zur Einrichtung eines europäischen mennonitischen Dienstes zu europäischen Angelegenheiten vorzulegen. Die Gruppe wird zudem eine zweite Beratungsrunde einberufen, die Anfang Juni stattfinden soll und bei der Entscheidungen über erste Mittelbereitstellungen und Maßnahmen getroffen werden sollen.
Autor: Pfarrer Jacob H. Kikkert (Regionaldirektor des MCC Westeuropa)